Machtwechsel
Die Sonne war kaum über Pal Ketta aufgegangen, als mein Vater meinen Bruder Robin und mich zu sich rief. Robin und ich trafen gleichzeitig im Arbeitszimmer unseres Vaters ein. Er stand am Fenster, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Als wir eintraten, drehte er sich um und sein Blick erfasste uns beide mit einer Intensität, die sofort Spannung in die Luft brachte.
„Lynda, Robin“, begann er, seine Stimme tief und ernst. „Ich habe euch hierher gerufen, weil eine Angelegenheit von größter Wichtigkeit unsere Aufmerksamkeit erfordert. Das Syndikat steht vor einer neuen Herausforderung, die unsere gemeinsamen Anstrengungen erfordert.“
Robin und ich tauschten einen kurzen Blick. „Was genau ist die Herausforderung, Vater?“, fragte ich, während ich mir einen Stuhl nahm. Robin tat es mir gleich, beide fixierten wir unseren Vater mit erwartungsvollen Blicken.
Martiin setzte sich an seinen massiven Schreibtisch und faltete die Hände. „Es gibt Gerüchte, dass im Letaa-System eine neue Gouverneurin an die Macht kommt. Der bisherige Gouverneur hat bei unseren Machenschaften oft weggeschaut, weshalb wir dort mehrere Umschlagorte für unsere Waren aufbauen konnten. Doch die neue Gouverneurin könnte das gefährden.
„Eure Mission wird es sein, dorthin zu reisen und unsere Interessen zu sichern“, fuhr Martiin fort. „Ihr müsst herausfinden, wie fest ihre Position ist und ob es möglich ist, sie zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Falls nicht, müssen wir andere Maßnahmen ergreifen.“ Robin lehnte sich vor, seine Miene angespannt. „Verstehen wir das richtig, Vater? Sollen wir eine diplomatische Lösung finden oder …?“
Martiin hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. „Beginnt mit Diplomatie, ja. Versucht, sie auf unsere Seite zu ziehen, überzeugt sie von den Vorteilen einer Zusammenarbeit. Sollte das scheitern, müssen wir bereit sein, härtere Schritte zu gehen. Aber das ist nur der letzte Ausweg.“ Ich nickte langsam. „Verstanden. Haben wir Verbündete im Letaa-System, auf die wir uns stützen können?“, fragte ich.
„Ja“, antwortete unser Vater, während er einige Daten auf seinem Bildschirm durchsah. „Ihr werdet von Terek, einem unserer loyalsten Agenten vor Ort, unterstützt. Er kennt die politische Landschaft dort besser als jeder andere und wird euch bei eurer Mission assistieren.“
Robin und ich tauschten einen weiteren Blick. Eine Reise ins Letaa-System war keine kleine Unternehmung, und die politischen Gewässer dort zu navigieren würde Fingerspitzengefühl erfordern. „Wann brechen wir auf, Vater?“, fragte Robin. „Sobald ihr bereit seid. Ich würde jedoch empfehlen, keine Zeit zu verlieren. Je länger wir warten, desto mehr festigt die neue Gouverneurin ihre Macht“, erklärte Martiin.
Wir standen auf, bereit, uns sofort auf den Weg zu machen. „Wir werden alles vorbereiten und so schnell wie möglich aufbrechen“, sagte ich, entschlossen, das Vertrauen, das mein Vater in uns setzte, zu rechtfertigen. „Gut“, Martiin nickte knapp. „Haltet mich auf dem Laufenden. Eure Entscheidungen dort könnten weitreichende Folgen für das Syndikat haben.“
Mit diesen letzten Worten verließen Robin und ich das Arbeitszimmer, um uns auf die bevorstehende Mission vorzubereiten. Währenddessen ging mir durch den Kopf, wie entscheidend es war, die neue Gouverneurin zu beeinflussen oder zumindest ihre Pläne zu durchkreuzen. Das Wohl unseres Syndikats hing von unserem Erfolg ab. Neben der offensichtlichen Schwere unserer Mission waren da auch noch Robins jüngste Bemerkungen und Blicke, die mir Sorgen bereiteten. Er hatte in den letzten Tagen einige Kommentare über mein Aussehen gemacht, die mich zutiefst irritierten. Seine Blicke waren manchmal mehr als nur brüderlich, und ich befürchtete, dass er die Nähe während der Mission ausnutzen könnte, um mehr zu probieren.
Unsere Zusammenarbeit auf dieser Mission würde eine neue Dynamik mit sich bringen. Es war entscheidend, dass wir effektiv zusammenarbeiten, ohne dass persönliche Spannungen unsere Ziele gefährdeten. Während ich zu meinem Quartier ging, nahm ich mir fest vor, eine klare Grenze zu ziehen und sicherzustellen, dass Robin verstand, dass unser Fokus ausschließlich auf der Mission liegen musste.
Es war offensichtlich, dass der Erfolg nicht nur von unserem diplomatischen Geschick abhing, sondern möglicherweise auch von unserer Bereitschaft, über unsere moralischen Grenzen hinauszugehen. Doch unabhängig davon, wie weit wir gehen mussten, war es meine Aufgabe, darauf zu achten, dass die Mission nicht durch interne Konflikte und Gefühle kompromittiert wurde.